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Seminarbeschreibung

Titel der Veranstaltung:

?Contentious politics? in Lateinamerika

Art der Veranstaltung:

Proseminar

Kursnummer:

1394

Dozent/in:

Bettina Schorr

Zeit/Raum:

Donnerstag, 12.00-13.30/Hörsaal Forschungsinstitut

Seminaranmeldung:

vom 1. bis 16. Oktober über die Lehrstuhlhomepage

Seminarbeschreibung:

Aufstände, Revolutionen, Militärdiktaturen, populistische Regime, kampfstarke Gewerkschaften, Guerillas und unterschiedlichste soziale Bewegungen: Lateinamerika verteidigt bis heute seinen Ruf als Ort der politischen Extreme. Im 20. und 21. Jahrhundert rückten zahlreiche Episoden politischer Kämpfe (engl. contentious politics) den Kontinent immer wieder ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Wiederholt haben diese Auseinandersetzungen das politische Gesicht der einzelnen Staaten Lateinamerikas maßgeblich verändert und prägen sie zum Teil noch heute. Dazu zählen:
Die Revolutionen in Mexiko (1910); Bolivien (1952), Kuba (1959) und Nicaragua (1979); Populistische, auf kampfstarke Arbeitergewerkschaften ausgerichtete, Regime z.B. in Argentinien, Bolivien und Brasilien; Die Guerillakriege in Zentralamerika (Nicaragua, El Salvador und Guatemala) sowie in Kolumbien, dessen politisches Tagesgeschäft noch heute von Guerillaaktivitäten bestimmt wird (FARC u.a.). In den 80er Jahren trugen in einigen Ländern (Argentinien, Chile, Bolivien) Demokratiebewegungen maßgeblich zum Ende der Militärdiktaturen und damit zu den demokratischen Transitionen bei.
Die Einführung demokratischer Verhältnisse führte vielerorts zu einem kurzzeitigen Rückgang öffentlich ausgetragener politischer Kämpfe, bis mit dem Aufstand der Zapatisten in Chiapas/Mexiko 1994 eine neue soziale Bewegung entstand, die international große Aufmerksamkeit erregte. In Ecuador und Bolivien erlangten in den neunziger Jahren und zu Beginn des 21. Jh. ?indigene Bewegungen? durch ihre Massenmobilisierungen (zeitweise) großen politischen Einfluss. In Argentinien organisierten die so gen. ?Piqueteros? eine mobilisierungsstarke soziale Bewegung, die vor allem in den Jahren 2000-2002 wiederholt mit massiven Protesten in Erscheinung trat. In Brasilien hingegen gilt die schon Mitte der 80er Jahre gegründete Landlosenbewegung auch heute noch als größte soziale Bewegung des Kontinentes.
In jüngster Zeit erregten vereinzelte urbane Aufstände und Mobilisierungen (Oaxaca/Mexiko; forrajidos in Quito/Ecuador) und die Protestaktivitäten von Oppositionsbewegungen gegen südamerikanische Linksregierungen (gegen Morales/Bolivien, Correa/Ecuador und insbesondere gegen Chavez/Venezuela) große Aufmerksamkeit.
Ziel des Seminars ist es, den Teilnehmenden einen Überblick über die ?contentious politics? im Lateinamerika des 20. Und 21. Jh. zu verschaffen. Dabei werden uns vor allem Fragen nach Entstehung, Verlauf und outcomes dieser öffentlich ausgetragenen politischen Kämpfe beschäftigen. In einer komparativen Perspektive wollen wir untersuchen, ob die unterschiedlichen Formen der politischen Auseinandersetzungen in Lateinamerika das Ergebnis ähnlicher sozialer Mechanismen und Prozesse sind. Neben diesen Gemeinsamkeiten sollen auch Differenzen zwischen den einzelnen Protestepisoden erarbeitet werden.
Das Seminar besteht aus zwei Blöcken. Im ersten Teil werden wir uns mit dem theoretischen Instrumentarium der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung befassen. Unter der Annahme politischer Rationalität geht diese davon aus, dass die Entstehung, der Verlauf und die outcomes sozialer Bewegungen von der Verfügbarkeit von Ressourcen (Theorie der Ressourcenmobilisierung), dem Vorhandensein ?politischer Gelegenheiten? bzw. der ?Politischen Gelegenheitsstruktur? (Politisches-Prozess-Modell) und der Konstruktion mobilisierender Diskurse durch Bewegungsakteure (Framing-Theorie) abhängen.
Ausgehend von diesem theoretischen state of the art, ist in der Forschung jüngst der Versuch unternommen worden, soziale Bewegungen zusammen mit anderen Formen öffentlicher politischer Auseinandersetzungen (Revolutionen, Streikwellen, Aufstände ?) als ?contentious politics? zu begreifen und zu analysieren. ?Contentious politics? sind definiert als: ?episodic, public, collective interactions among makers of claims and their objects when (a) at least one government is a claimant, an object of claims, or a party to the claims and (b) the claims would, if realized, affect the interests of at least one of the claimant? (McAdam/Tarrow/Tilly 2001: 5). Das Ziel dieser neueren Forschungsrichtung ist, Mechanismen und kausale Prozesse aufzudecken, die Entstehung, Verlauf und outcomes der unterschiedlichen Ausprägungen von ?contentious politics? bestimmen.
Im zweiten Teil des Seminars wollen wir die erarbeiteten Theorien auf konkrete Fallbeispiele aus Lateinamerika anwenden.

 Themenplan/Literatur:

 Bis zu den Weihnachtsferien findet das Seminar regulär Donnerstags 12.00-13.30 statt. Alle folgenden Termine werden auf einen Blocktermin, 19.12.09 von 9.00-17.00, vorgezogen. Vorschläge für Referatsthemen (im Themenplan mit (R) gekennzeichnet) ab sofort an bettina.schorr@uni-koeln.de oder in der ersten Sitzung. Erste Literaturhinweise für die Referate erhalten Sie von mir.

Vorläufiger Themenplan
15.10.09    Einführung, Organisatorisches
22.10.09    Bewegungsforschung 1: Mancur Olson und das Trittbrettfahrerproblem (R); Theorie der Ressourcenmobilisierung (R)

29.10.09    Bewegungsforschung 2: Politisches Prozess Modell (R); Framing-Theorie (R)

05.11.09    ?Contentious politics?: Mechanismen und kausale Prozesse allgemein (R); ?Mechanisms of contention?/ Mechanismen politischer Auseinandersetzungen (R)
12.11.09    Lateinamerikanische Revolutionen 1: Mexiko (R) und Bolivien (R)
19.11.09    Lateinamerikanische Revolutionen 2: Kuba (R) und Nicaragua (R)
26.11.09    Guerillas: El Salvador (R), Guatemala (R) und Kolumbien (R)
03.12.09    Demokratiebewegungen: Argentinien (R) und Chile (R)
10.12.09    Die zapatistische Bewegung (R); Aufstand in Oaxaca (R)
17.12.09    Piqueteros in Argentinien (R), MST in Brasilien (R)
19.12.09    BLOCKSEMINAR; 9-17 Uhr
    1. Die indigene Bewegung in Ecuador (R); Der Aufstand der Forrajidos (R)
2.    Der boliviansiche Protestzyklus: Wasserkrieg (R), Gaskrieg (R), Aufstand der Aymara (R), Die Bewegung der Kokabauern (R)
3.    Oppositionsbewegungen: Bolivien (R) und Venezuela (R)
4.    Zusammenfassung und Evaluation

Literaturhinweise:
Foweraker, Joe (1995): Theorizing Social Movements, London: Pluto Press.
Hedström, Peter /Swedberg, Richard (Hg.) (1998): Social Mechanisms: An Analytical Approach to Social Theory. Cambridge: Cambridge Unversity Press.
Hellmann, Kai Uwe/Koopmans, Ruud (1998): Paradigmen der
Bewegungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 9-32.

Kaltmeier, Olaf et al. (2004): Neoliberalismus ? Autonomie ? Wiederstand: Soziale Bewegungen in Lateinamerika. Münster: Westfälisches Dampfboot.

McAdam, Doug/Tarrow, Sidney/Tily, Charles (2001): Dynamics of Contention. Cambridge: Cambridge University Press.

Mittag, Jürgen/Ismar, Georg (2009): El pueblo unido? Soziale Bewegungen und politischer Protest in der Geschichte Lateinamerikas. Münster : Westfälisches Dampfboot.


Scheinanforderungen:

Regelmäßige und aktive Teilnahme (höchstens zwei Fehlstunden).
Übernahme eines Referates (inkl. Thesenpapier) (ca. 15 Minuten)
Schriftliche Hausarbeit (10-15 Seiten)